Die Kleinste Bühne der Welt Hedwig Rost & Jörg Baesecke

Aktuelles/Blog

Der Schwertmeister

Ein neues kleines Stück ist fertig, nach einem japanischen Stoff: Es geht um einen unbesiegbaren Schwertmeister, einen Samurai, der einem Zweikampf lieber ausweicht, als seinen Gegner zu töten – auf die Gefahr hin, dann als Feigling zu gelten. Eine Rittergeschichte, wenn man so will.

Aber was heißt ‚kleines Stück‘?  Ein Leporello aus geschnittenen Bildern, insgesamt 4,80 Meter lang, untermalt die Handlung. Es ist Minutentheater, aber wirklich hintergründig:  Japan in a nut-shell, ganz Japan in einer Nußschale – ließe sich über diese Geschichte sagen.

DAUMENKINO

Das erste Theater – war das nicht für so viele Kinder ‚Das ist der Daumen, der schüttelt die Pflaumen …‘? In unserem HeimSpiel  kommt das Obsternte-Drama zur Sprache, als eines von vielen Kinderzimmer-Echos, und in einer kleinen Veröffentlichung wird es ebenfalls gewürdigt.

Aber was passiert, wenn jemand alle Pflaumen ganz allein gegessen hat, wie könnte die Geschichte weitergehen? Wir haben uns eine Fortsetzung ausgedacht, und daraus entwickelten sich dann fünf kurze und genretypische Film-Stories: ein Krimi, ein Western, ein Liebesfilm, ein Science-Fiction-Stück und ein Horrorstreifen. Alles wohlgemerkt nach dem Muster der bekannten Fingerverse.

Im HeimSpiel war dann aber leider kein Platz für diese kleinen Texte. Doch sollten wir sie wirklich ganz aus der Hand legen? Im Sommer 2017 ergab sich die Gelegenheit, das alles einmal auf die Bühne zu bringen – bei einem Straßentheaterfestival. Das Publikum saß sozuzsagen im Multiplex-Kino und hatte die Wahl zwischen den 5 Filmgattungen. Meinungsbildung, Abstimmung, Stimmauszählung, dann die Vorführung – das hat wirklich Spaß gemacht! Es wäre ja schön, wenn sich wieder einmal eine Gelegenheit dazu ergäbe! Sonst: Einfach fragen, das Spielmaterial ist ja immer zur Hand.

Seestücke

Am Anfang war das Meer, auch auf unserer kleinen Kofferbühne: Robinson Crusoe mit einer Untertasse als Insel, einer Tasse als Schiff, und der Fischer und der Dämon, ein Märchen aus 1001 Nacht – das waren vor 35 Jahren unsere ersten beiden Stücke. Dann kam gleich der Rote Freibeuter mit einem Papierschiffchen, später der Fliegende Holländer im gleichen Bühnenbild. Das kleine Schiff hat uns dann durch viele Produktionen begleitet, manchmal auch ganz versteckt, fast wie ein Glücksbringer.

Das Meer aber blieb unerschöpflich: Alles verloren – nach Imre Kertesz, und Cola Fisch, ein Märchen aus Sizilien – siehe unser ALBUM. Die Meererin – eine Ballade aus der Gottschee – steht in unserem Buch. Die Mühle am Meeresgrund, die bis auf den heutigen Tag irgendwo in der Tiefe der See  Salz mahlt. Die 4 Entdeckungsreisen, von denen wir in KOLUMBUS NACHFAHREN erzählt haben – darüber demnächst mehr im Archiv. Und natürlich: das Urmeer so vieler Schöpfungsgeschichten. Dann der junge Mann, der Magie lernen will, in einen Suppenkessel stürzt und sich plötzlich auf hoher See wiederfindet. Die strenge Kapitänin Holmberg, die verfügt hat, an Land begraben zu werden – und deren Leichnam nun im Schnapsfass bis zum Heimathafen transportiert werden muss. Eine Geschichte  aus dem 2.Weltkrieg, von Wasserbomben im Eismeer und gefrorenen Fischen, erzählt in Papier.Krieg. Nicht zu vergessen Deukalion und Pyrrha – nach Ovid: Die ganze Erde versinkt in einer Sintflut, und nur zwei Menschen überleben.

So kam das Meer immer wieder auf unsere Bühne; im Rückblick erscheint das fast wie ein roter Faden – oder eher wie ein blaues Band. Und in der Vorausschau? Wir haben noch einiges vor mit unserem Theater, aber eine Idee aus unseren Anfängen beginnt langsam Gestalt anzunehmen: Shakespeares Sturm, sozusagen als Alterswerk. Als Spiel mit der Einbildungskraft. Mit dem Stoff, aus dem die Träume sind. Und vielleicht noch einmal mit einem Papierschiffchen? Wer weiß.

Auf in neue Welten!

26.Juni 2017 – unsere letzte Aufführung an der SCHAUBURG am Elisabethplatz:  Wie die Welt auf die Welt kam. Zum Trost ein Abschiedsgeschenk von unserer geschätzten Münchner Kollegin Katharina Ritter – ein grüner Planet!

Alles umsonst!

Bengodi – Coquaigne/Cockaigne – Luilekkerland – Schlaraffenland:  Der Traum von einem Land, in dem dir alles zufliegt und zufließt, was du zum Leben brauchst, findet sich auf der ganzen Welt. Arbeit – überflüssig zu sagen – gibt es dort nicht, ist sogar verboten. Bezahlt wirst du fürs Gähnen, fürs Schlafen, aber eigentlich bekommst du alles Lebensnotwendige auch ohne Geld: Die Speisen hängen an den Bäumen, wachsen aus der Erde oder fliegen dir gleich in den Mund, und was du trinken möchtest, sprudelt aus Brunnen, strömt in Bächen und Flüssen an dir vorbei oder liegt dir gleich als ganzer See zu Füßen. Nicht nur Milch und Honig, auch Bier, Wein und Champagner.

Eine Tonaufnahme vom September 2021 veranschaulicht, was wir mit diesem Stoff angestellt haben. Die kleine Choreografie soll sich bitte jede/r dazudenken.

Tagträume  einer Zeit, einer Gesellschaft, in der jeder beständig zur Arbeit genötigt ist, um sein Überleben zu sichern? Ganz bestimmt, aber die dichtenden Träumer gehen oft noch weiter: In diesem Utopia ist nicht nur die Arbeit verboten, sondern auch eigenständiges Denken und gute Umgangsformen. Es gibt eine Pflicht zur Faulheit, und wer dagegen verstößt,  „Alles umsonst!“ weiterlesen

Aufs Neue!

Nun ist es offiziell: Unsere neue Produktion Wie die Welt auf die Welt kam  wird – bedingt durch den anstehenden Intendantenwechsel – künftig nicht mehr an der Münchner SCHAUBURG gezeigt. Damit endet zugleich auch eine mehr als 25jährige Zusammenarbeit mit diesem Haus.

Wir werden die Produktion also neu inszenieren. Da uns die technischen und räumlichen Möglichkeiten des Theaters nicht mehr zur Verfügung stehen, entwickeln wir eine mobile Fassung, die sich an den Bedingungen der Gastspielbühnen, wie wir sie kennen, orientiert. Es gab ja schon wenige Tage nach der Premiere die ersten Anfragen – darum sind wir zuversichtlich, für eine mobile Fassung genügend Interessenten zu finden. Geplant ist, dass wir unsere Schöpfungsgeschichten ab Januar 2018 wieder anbieten können.

Natürlich fällt so ein Abschied schwer. Und eine fertige Produktion wieder als unfertig zu behandeln – das ist auch nicht ganz einfach. Sicher, auf diese Weise bietet sich die Gelegenheit, neu darauf zu schauen und wenn möglich noch einmal etwas zu verbessern. Dabei hilft sicher der Gedanke, dass die Schöpfung selbst auch nicht abgeschlossen ist, sondern fortdauert. So, wie wir es in der letzten Geschichte unseres Stücks erzählen – vom Urknall und dem kosmischen Pulsieren. Ist leichter gedacht als getan, doch das wird nun unsere Aufgabe sein. AUFGEBEN allerdings – das geht gar nicht!

Am 5.April 2008 hatte unsere Produktion ‚SALZ – 5 Geschichten über einen Stoff, der Geschichte gemacht hat‘ an der SCHAUBURG/Theater der Jugend in München Premiere. Unmittelbarer Anlass war der 850.Jahrestag der ersten urkundlichen Erwähnung Münchens. Nach 204 Aufführungen haben wir uns nun von diesem Stück verabschiedet, nicht ohne Wehmut, denn wir haben es bis zuletzt gern gespielt: SALZ läuft einach nicht ab. Und durch unsere beiden Neuproduktionen, die 2016 und 2017 entstanden sind, haben wir noch einmal einiges für unsere Spielweise dazugelernt, was den letzten Aufführungen dann sehr zugutekam.

SALZ hat uns durch ein paar schwierige Jahre hindurch begleitet und etliche treue Zuschauer gefunden. Es ist uns ans Herz gewachsen, irgendwie. Die SCHAUBURG bekommt eine neue Intendanz, und damit werden einfach neue Seiten aufgeschlagen. Unser großer Schreibtischordner, der als Untersberg diente und den schlafenden Kaiser Barbarossa und seine Schatzhöhle beherbergte, der eine Bischofsmütze und den Herzogshut, eine Zollschranke, ein Schwirrholz, Bopfinger Akten, den Meereshorizont und was nicht sonst noch alles enthielt, bleibt nun geschlossen. Bis in 100 Jahren ein Vogel kommt und den Schnabel daran wetzt? Wer weiß.

Er-schöpft

Die Premiere unserer Schöpfungsgeschichten und weitere sechs Aufführungen, darunter drei für Schulklassen, sind gut über die Bühne gegangen. Wir konnten in dieser Serie noch einige Anregungen aufnehmen und umsetzen, aber jetzt scheint es wirklich geschafft.

Aber wie es manchmal ist: Nun erst bekamen wir einen Aufsatz des Theologen Prof. Otto Betz zu Gesicht – Was die Mythen der Völker über die Schöpfung wissen. Darin geht es unter anderem um den narrativen Kontext dieser Geschichten, also um das Umfeld und um die Bedeutung der Weiter-Erzählung – für eine Gruppe, einen Stamm, ein Volk, eine Gesellschaft. Das wirft noch einmal Fragen auf: Ist das Theater überhaupt der passende Ort hierfür, und lässt sich ein Mythos so ohne weiteres in eine andere Gesellschaft verpflanzen? Oder ist es heute, wo unser Blick weiter geworden ist, eine Aufgabe gerade des Theaters, andere Kulturen durch ihre Mythen verstehbarer zu machen? Und: Ist das naturwissenschaftliche Weltbild, das am Ende unseres Stück skizziert wird, in der Lage, die menschliche Frage nach dem Sinn der eigenen Existenz zu beantworten? Dazu zwei Zitate aus dem genannten Text: „Er-schöpft“ weiterlesen

Im Anfang

In Kürze hat unsere neue Produktion mit Schöpfungsgeschichten Premiere – WIE DIE WELT AUF DIE WELT KAMDann liegt eine lange Reise hinter uns – kein anderes unserer Programme hatte einen längeren Vorlauf.  Die Idee dazu tragen wir schon lange mit uns herum; bereits 2008 entstand eine Bearbeitung der biblischen Schöpfungsgeschichte, die auch einmal (und nicht ohne Erfolg) aufgeführt wurde, aber dann doch Fragment blieb. Vielleicht war die Zeit einfach noch nicht reif? Und was sind die paar Jahre angesichts der unvorstellbaren Zeiträume, von denen da erzählt wird?

Viele Fragen begleiteten unseren Weg: Welchen Wortlaut wählen wir für die biblische Schöpfungsgeschichte? Wie lässt sich die gleiche Geschichte mehrmals hintereinander erzählen? Denn immer beginnt es mit einem Nichts – und endet mit der Welt, in der wir leben. Und das zwanzigmal? Wie gehen wir mit dem Fremden um, das uns in vielen Geschichten begegnet? Nicht nur die einzelnen Elemente, auch die Erzählstruktur ist ja oft völlig anders als wir es gewohnt sind. Und muss nicht jedes darstellerische Material angesichts des gewaltigen Themas als unzureichend erscheinen? Ist es nicht auch anmaßend, die eigene schöpferische Tätigkeit in Relation zur Weltschöpfung zu bringen? Und und und …

Es ist die Erste Geschichte, für die ganze Menschheit; immer und überall ist versucht worden, sie in Worte zu fassen, und wahrscheinlich waren diese Versuche immer und überall auch von solchen Zweifeln begleitet. Da reihen wir uns jetzt ein, mit einer kleinen Verneigung vor allen, die sich vor uns dieser großen Aufgabe gestellt haben, und in der Hoffnung, diesen Vor-Bildern mit unseren Mitteln und in unserer Sprache gerecht zu werden.

Schicksalsnächte

Ausruhen, wie im vorigen Beitrag angekündigt, geht eigentlich anders. Ganz unversehens ist zwei Wochen nach der HeimSpiel- Premiere noch ein neues kleines Stück entstanden. Entstanden? Es war Einiges zu tun, bis alles fertiggezeichnet, getextet und gebaut war: zum ersten Mal seit fast 20 Jahren wieder eine Geschichte für’s Kamishibai, das japanische Papiertheater.

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Aber wann, wenn nicht jetzt? Tiefer Winter. Gott und Petrus sind auf der Erde unterwegs. Sie müssen einer Frau bei der Geburt ihres Kindes beistehen, was nicht ganz einfach ist. Sie hören aus dem Mund der Schicksalsfrauen,  was dem Neugeborenen dereinst bevorsteht – und nun geht es unter anderem darum, wer mehr Macht hat, Gott oder diese drei archaischen Gestalten. Ein sehr ungewöhnliches Märchen, halb eine Legende – aus der ‚Taikon-Sammlung‘: Johan Dimitri-Taikon, der Sippenälteste der schwedischen Kölderascha, war ein begnadeter Erzähler; auch Der Junge, der sich beim Tod Brot lieh, was wir zu zweit mit unserer Kleinsten Bühne spielen (siehe Album – Nr. 35), stammt aus dieser Sammlung. Seit mehr als 20 Jahren haben wir diese Geschichte im Blick, nun konnten wir uns damit selbst ein Weihnachtsgeschenk machen.